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Titel
Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter


Autor(en)
Jucker, Michael
Erschienen
Zürich 2004: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
367 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Georg Modestin, Bern

Michael Jucker legt ein Buch vor, das ebenso anregt wie irritiert. Beides hat mehrere Gründe: Die aus einer Zürcher Dissertation hervorgegangene Publikation «thematisiert», wie im ersten Satz der Einleitung gesagt wird, «die Bedeutung von Schriftlichkeit und diplomatischer Kommunikation für die spätmittelalterlichen Herrschafts- und Handlungsträger im Umfeld der eidgenössischen Tagsatzungen». Dabei distanziert sich der Verfasser pointiert von älteren, verfassungs- und rechtsgeschichtlichen Ansätzen zu Gunsten einer Herangehensweise, die ihre Anregungen von der Kommunikations- und Schriftlichkeitsforschung bezieht. Die Tagsatzungen werden nicht als konstituierendes Element einer alten eidgenössischen Staatlichkeit begriffen. Andreas Würgler hat bereits bemerkt, dass Jucker wie schon Generationen von Zürcher Mediävisten gegen den Mythos anrennt, «die Eidgenossenschaft sei mit dem ersten überlieferten Bündnis von 1291 bereits ein voll ausgebildeter ‘Staat’, getragen von einem eidgenössischen Bewusstsein und einer teleologischen Entwicklung hin zum Bundesstaat von 1848 gewesen»1. Folglich werden Tagsatzungen als sich ad hoc zusammenfindende Kommunikationsforen analysiert.

Unter dieser Prämisse gelingen dem Autor bedenkenswerte Einsichten, so die Feststellung, dass vor allem im späten 14. und frühen 15. Jahrhundert (der eigentliche Untersuchungszeitraum der Arbeit reicht von 1350, dem Jahr des erstma ligen Treffens von eigenössischen Gesandten, bis zur Reformation) «ein hoher Anteil der Themen und Gespräche unter den Gesandten nie schriftlichen Niederschlag fand» (S. 85). Was die Instruktionen an die Gesandten betrifft, so sind sie idealtypisch gesehen verbindliche Anordnungen seitens der Obrigkeit. Anhand ausgewählter Beispiele kommt Jucker zum Schluss, dass auch Instruktionen in erster Linie mündlich mitgegeben wurden, während die entsprechenden Einträge etwa in den Zürcher und Luzerner Ratsprotokollen hauptsächlich der «Konsensdokumentierung im Rat» (S. 98) dienten. Überhaupt keine Instruktionen in schriftlicher Form sind für die ländlichen Orte zu finden. In Abgrenzung zur rechtshistorischen Forschung billigt der Verfasser den Gesandten denn auch einen gewissen Handlungsspielraum zu, und sei es nur dank ihres nicht zu unterschätzenden Informationsvorsprunges. Solche Handlungsspielräume führten indes nicht zu einer grösseren Effizienz, was sich beispielsweise darin spiegelt, dass «selbst einfachste Formalitäten wie das Ansetzen eines neuen Treffens […] häufig umstritten» waren (S. 175). Anders als vielfach angenommen, sind die Abschiede, wie Michael Jucker in seiner Untersuchung von Schriftproduktion und Schriftgebrauch an den Tagsatzungen festhält, weder Verlaufs- noch Beschlussprotokolle, sondern eine «konsensuale Niederschrift dessen, was die Gesandten an ihre Orte [heim] zu bringen hatten» (S. 176), d.h. Pendenzprotokolle.

Damit sind nur einige Ergebnisse dieser Studie hervorgehoben worden, deren quellenkritische Brisanz nicht betont werden muss. Besonders überzeugend ist in dieser Hinsicht Juckers Auseinandersetzung mit der «Amtlichen Sammlung der älteren Eidgenössischen Abschiede», deren (bundes-)staatstragenden Entstehungszusammenhang er aufarbeitet, insbesondere die Rückprojektion schweizerischer Staatlichkeit bis auf 1291. Wo eigentliche Abschiede fehlen, also bis in die Mitte des 15. Jahrhunderts, mussten solche «erfunden» werden: «Jedes Schriftstück, das in irgendeiner Weise an eine Zusammenkunft von Delegierten irgendwelcher Art aus mehreren Orten und Institutionen […] erinnerte, wurde den ‘eidgenössischen Tagen’, also der Tagsatzung, zugeschrieben» (S. 42).

Befremdlich ist die Insistenz, mit der sich Michael Jucker gegenüber der Forschungstradition abgrenzt. Seine Position wird bald einmal klar, so dass es wirklich nicht nötig erscheint, sie immer wieder zu betonen. Seine Sprache ist technisch, wogegen nichts einzuwenden ist; gelegentlich verfällt er jedoch in einen Jargon, dem etwas Selbstreferentielles anhaftet. Bisweilen wünscht man sich auch, der Autor hätte sich an weniger, dafür aber detailliert aufgearbeitete Beispiele gehalten. Zwar schreibt er den Akteuren der Tagsatzungen, den Gesandten, eine zentrale Bedeutung zu, doch bleiben gerade sie in seiner Schilderung merklich blass, als handelte es sich bei ihnen um Versatzstücke in einem abstrakten Kommunikationssystem. Ärgerlich ist das Fehlen eines Indexes, was die Suche nach bestimmten Personen unnötigerweise erschwert, wenn nicht sogar verunmöglicht. Totz dieser Einwände wird die einschlägige Forschung um die Auseinandersetzung mit dem hier angezeigten Buch nicht herumkommen.

1 1 So Andreas Würgler in seiner Rezension von Michael Juckers Buch in: H-Soz-u-Kult, 29. 8. 2005, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2005-3-122> (Zugriffsdatum: 29. 8. 2005) sowie in der Berner Zeitschrift für Geschichte und Heimatkunde 4/2005, S. 81/2.

Zitierweise:
Georg Modestin: Rezension zu: Michael Jucker: Gesandte, Schreiber, Akten. Politische Kommunikation auf eidgenössischen Tagsatzungen im Spätmittelalter. Zürich, Chronos Verlag, 2004. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 2, 2006, S. 210-211.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 56 Nr. 2, 2006, S. 210-211.

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